An der Tanke in Brandenburg - "Es will keiner sehen, was diese Pandemie im Nachhinein für Auswirkungen hat"

Mi 20.12.23 | 15:38 Uhr | Von Anna Bordel
Hand an einer Kofferraumklappe an einer Tankstelle in Dahme/ Mark in Brandenburg (Quelle: rbb/Sophia Bernert)
Bild: rbb/Sophia Bernert

Fast jeder kommt mal an der Tanke vorbei. Zwei rbb|24-Reporter sprechen Leute an der Zapfsäule in Brandenburg an und fragen, was sie umtreibt. Heute: eine Eingliederungshelferin, die erzählt, dass die Pandemiefolgen bei vielen jetzt sichtbar werden.

Wer: Eingliederungshelferin für Menschen mit Handicap
Alter: 43 Jahre alt
Uhrzeit: 11:49 Uhr
Fahrzeug: Ford Fiesta
Getankt: 35 Liter Diesel
Wohin: unterwegs zu einem Klienten

 

Ich begleite und betreue Menschen mit psychischen Erkrankungen oder auch mit einer geistigen Beeinträchtigung zum Beispiel bei der Arbeitssuche oder bei Behördengängen. Mit meiner Arbeit bin ich super zufrieden, es ist sehr abwechslungsreich.

Was mich generell ein bisschen ärgert, ist, dass wir immer von Inklusion sprechen, aber irgendwie passiert nichts mit Inklusion. Es gibt viele Menschen mit einem Handicap, die gar keine Chance haben, auf den Arbeitsmarkt zu kommen. Ich habe jetzt einen jungen Mann, der auf einer Förderschule war. Er kann alles lesen, schreiben und rechnen. Er braucht nur fünf Minuten länger. Aber er kriegt keine Chance auf dem Arbeitsmarkt, dabei ist er handwerklich begabt ohne Ende.

Langer Daunenmantel, gold manikürte Nägel - die Eingliederungshelfern lehnt an ihrem Arbeitswagen, auf dem eine Arbeiter-Samariter-Bund-Aufschrift klebt. Sie ist nicht übereifrig dabei, wartet erstmal ab, was man von ihr eigentlich wissen will.

Es gibt doch diesen Paragrafen. Jede Firma muss so und so viel Prozent Menschen mit Handicap eingestellt haben. Wer macht’s denn? Ich habe einen Klienten, der hat Tischler gelernt. Er arbeitet jetzt in einer Behindertenwerkstatt und ich bin der Meinung, dass er da nicht hingehört.

Ich wäre dafür, dass Menschen mit Handicaps besser angenommen werden würden in der Gesellschaft. Da ist ein Großteil noch sehr negativ eingestellt und da ist es egal, wen sie da fragen. Schon alleine eine bessere Aufklärung darüber, was es eigentlich für Handicaps gibt, wäre dafür sehr hilfreich.

Während der Coronakrise zum Beispiel wurden Krankenschwestern ganz hoch gewürdigt. Wir hier im Sozialen, wir haben doch genauso eine Arbeit geleistet und wahrscheinlich auch doppelt so viel wie sonst, weil einfach unsere psychisch Kranken noch viel kranker geworden sind durch die Pandemie. Das hat keiner irgendwo erwähnt. Ich finde, dieser Berufszweig Eingliederungshilfe ist vielen gar nicht präsent.

Dann kommt sie doch ins Erzählen. Spricht von dem, was sie denkt, was andere unzufrieden macht. Ob sie sich da selbst mit einschließt, bleibt unklar.

Häufig begleiten wir unsere Klienten auch als Fahrdienst zum Beispiel zu den Behörden, weil der Bus auf dem Dorf nur alle zwei Stunden fährt. Auch die Wohnungssuche für sie gestaltet sich oft schwierig, weil viele Wohnungen ja freigehalten werden müssen für Migration und so. Das ist einfach schwierig.

Die Politik ist ja irgendwo ein Stück weit selber Schuld, dass viele Leute die AfD wählen. Es wird einfach zu wenig auf die Bevölkerung gehört. Manchmal kommt es einem vor, als würde sie die Augen verschließen. Ich finde, es wird ja auch nicht viel für Arbeitnehmer gemacht. Das Bürgergeld ist mehr geworden. Warum? Für das, was sie nicht tun, kriegen sie mehr Geld. Da finde ich, sollte man schon gucken, dass man einen vernünftigen Ausgleich findet.

Die Politiker dürfen halt nicht so viel weggucken. Wahrscheinlich brauchen wir auch einfach mehr Redemöglichkeiten für Normalos. Damit man sich angehört gefühlt. Ich finde, viele Politiker sollten mal in normalen Jobs arbeiten gehen für ein paar Monate. Viele wissen gar nicht, was in manchen Berufen wirklich passiert.

Aus ihrer Manteltasche klingelt es immer wieder kurz auf. Sie ignoriert das.

Ich bin schon ziemlich enttäuscht von der Politik. Während der Coronapandemie fand ich, hätte vieles anders geregelt werden können. An den Schulen zum Beispiel. Man hätte sie nicht komplett schließen sollen. Es ist doch klar, dass viele Kinder jetzt hinterher hängen. Viele Eltern waren ja trotzdem in Vollzeit arbeiten. Wer sollte mit dem Kind Unterricht machen oder das betreuen? Darauf wurde gar keine Rücksicht genommen.

Ganz viele Jugendliche leiden jetzt momentan an psychischen Erkrankungen: Depressionen, Suizidgedanken. Das kommt jetzt erst. In Gesprächen kommt dann raus, dass sie sehr darunter gelitten haben, was alles verboten war. Die haben sich verändert und ich habe echt das Gefühl, das will einfach keiner sehen, was diese Corona-Pandemie im Nachhinein noch für Auswirkungen hat.

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rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "An der Tanke" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.

Dieses Gespräch führte Anna Bordel, rbb|24

Beitrag von Anna Bordel

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